Interview mit Angelina: Agilität in deutschen Unternehmen
Agilität in deutschen Unternehmen: Einblicke und Herausforderungen im Interview mit Senior Business Consultant Angelina
In diesem Interview spricht Philipp im Rahmen seiner Bachelorarbeit mit Angelina als Senior Business Consultant über ihre Erfahrungen im agilen Umfeld als Scrum Master und Agile Coach. Angelina betont die Faszination für die agile Welt, die Herausforderungen bei der Einführung von Agilität in Teams und die Bedeutung von Offenheit und Vertrauen. Sie teilt ihre Erkenntnisse zu den Gründen für den verstärkten Einsatz agiler Methoden und identifiziert mögliche Barrieren für Agilität in deutschen Unternehmen.
Philipp: Angelina, bitte stell dich kurz vor: Wie ist dein Name, wie nennt sich deine Berufs-/Positionsbezeichnung, welche Erfahrung bringst du mit und was sind deine Kernkompetenzen?
Angelina: Ich bin Angelina und seit über sieben Jahren im Beratungsumfeld, vor allem in der agilen Welt, u.a. als Scrum Master, Agile Coach und Proxy Product Owner unterwegs. Für mich ist das ein wahnsinnig spannendes Umfeld mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen, die ein Team benötigt, um eine erfolgreiche Produktlieferung zu garantieren. Vor allem im Bereich der agilen Transformation lerne ich unheimlich viel, da es einen kontinuierlichen Veränderungsprozess für alle in der Organisation in Gang setzt. Diesen Prozess als Agile Coach entsprechend unterstützen zu können, empfinde ich als sehr interessant und wertvoll. Das zählt auf alle Fälle zu einer meinen Leidenschaften. Ich habe in der Vergangenheit viel an Praxiserfahrung aus den unterschiedlichen Bereichen sammeln können. Angefangen von der Projektassistenz über Teamleitung im Finance bis hin zur Geschäftsleitung von Premium Kindertagesstätten startete ich vor sieben Jahren in der Unternehmensberatung und betreute sowohl Projekte im klassischen sowie agilen Projektmanagement. Seit zwei Jahren bin ich nun als Freelancerin in der Beratung branchenübergreifend in agilen Transformationsprojekten tätig.
Philipp: Danke dir. Wie vielen Unternehmen hast du bereits bei der agilen Umsetzung beratend und unterstützend zur Seite gestanden?
Angelina: Es waren fünf Unternehmen und 10 Teams.
Philipp: Wann bist du dann das erste Mal mit Agilität in Berührung gekommen?
Angelina: Das war vor sieben Jahren.
Philipp: Was waren deine Beweggründe oder Motivatoren, deine berufliche Laufbahn in diesem Bereich zu etablieren?
Angelina: Ich war von Anfang an sehr begeistert von Scrum, OKR und SAFe. Vor sieben Jahren habe ich meine Tätigkeit in einer kleinen Beratungsagentur begonnen, die neben Beratungen auch Schulungen und Zertifizierungen für Frameworks wie Prince2, Scrum und ITIL durchführte. Hier habe ich mich zum ersten Mal mit Scrum beschäftigt, und war direkt Feuer und Flamme. Nicht nur weil es so logisch zu klingen scheint, sondern auch die Wertebasis, auf der das Ganze basiert, fand ich toll und hat mich direkt begeistert. Auch wie logisch die Abgrenzung von der klassischen Software Entwicklung zur inkrementellen ist. Das hat bei mir sofort Klick gemacht. Ich beherrsche auch das klassische Projektmanagement, und wenn ich in ein Projekt einsteige, das nach wie vor klassisch organisiert ist oder meilensteinorientiert arbeitet, würde ich niemals in den Ablauf eingreifen oder das als falsch bewerten. Aber es ist interessant, dass die agile Vorgehensweise wirklich immer eine Lösung auf die Probleme hat, die auftreten und oftmals im klassischen Kontext nicht zu lösen sind. Dabei steht der Kundenwunsch und Kundennutzen im Fokus. Möchte er schnell liefern, die Qualität erhöhen oder bestehen viele Hindernisse wie Fluktuation? Ich versuche immer auf den Kunden einzugehen und ihn in seiner strategischen Ausrichtung zu unterstützen. Bei der Umsetzung von Projekten mit einer hohen Komplexität, insbesondere wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund an Bord sind und möglicherweise nicht immer fest im Team vor Ort organisiert sind, sondern eher durchmischt werden, halte ich den Einsatz von agilen Lösungen wie Scrum, LeSS oder SAFe für am geeignetsten.
Philipp: Du hast damit auch schon gesagt, welche agilen Methoden du am meisten in den Projekten verwendest. Hattest du auch schon Berührungspunkte mit dem Spotify-Ansatz?
Angelina: Ja, in einem Projekt habe ich LeSS eingeführt und mich dabei vom Spotify-Modell inspirieren lassen. Hier haben wir die Multiteamebene welche ähnlich wie die Chapter bei Spotify aufgebaut sind angewendet.
Philipp: Was würdest du allgemein sagen, warum werden Projekte überhaupt vermehrt agil aufgesetzt?
Angelina: Erst einmal denke ich schon, dass es ein Trend ist, also von ganz psychologischer Natur. Es kommt etwas, das funktioniert in Amerika super oder wird total gehypt, und dann versuchen wir das in Deutschland, nach ein paar Jahren auch. Es ist ein innovativer Gedanke, man fragt sich, “Funktioniert es damit besser?”. Das zweite ist, dass im Bereich Softwareentwicklung oder überhaupt, wenn man in einem komplexen Umfeld unterwegs ist, Stichwort VUCA-Welt, nicht absehbar ist, wo du dich bewegst und was das Ziel des Vorhabens ist. Und ich glaube, aufgrund der zahlreichen Fehlentwicklungen, die wahnsinnig viel Geld gekostet haben, ist natürlich der agile Ansatz der, bei dem man versucht, anforderungsbasiert inkrementell zu entwickeln und “auszurollen” um möglichst schnell einen Mehrwert zu generieren. Und ich denke auch, dass häufig der Kunde nicht genau weiß was er möchte und die Komplexität für alle nicht leicht oder schnell zu durchdringen ist und auch das ist wieder menschlich und psychologischer Natur. Daher ist hier der agile Ansatz der am geeignetsten. Denn hier ist der Weg das Ziel. Du bindest den Kunden viel früher ein und das ist der Ansatz, der dann in die richtige Richtung geht.
Philipp: Da hast du recht. Ich merke das auch im täglichen Austausch mit Kunden. Die Vorstellung und Erwartungshaltung spiegelt nicht die Realität wider. Das sind häufig zwei komplett verschiedene Paar Schuhe, und ja, da gibt es unheimlich viele Startprobleme, allein schon vom Denkansatz.
Angelina: Ja, total. Dadurch, dass ich selbstständig bin, ertappe ich mich auch selbst in dieser Situation. Wenn ich meine eigene Website konzipiere oder diese weiterentwickelt wird, dann bin ich in der Kundenrolle. Und auch hier komme ich in die Situation, dass ich nicht genau weiß, was ich will und wie die Lösung aussehen soll bzw. was auch machbar ist. Deswegen ist es super interessant, auch hier mit einem agilen Ansatz zu arbeiten und sich iterativ vorwärts zu bewegen. Man setzt sich sprintbezogene Ziele um das “Schwammige” immer klarer zu bekommen. So kann dann ein Weg aussehen.
Philipp: Absolut. Wie nimmst du es wahr? Siehst du den Wasserfall-Ansatz überhaupt noch als zeitgemäß? Unter welchen Bedingungen ist er sinnvoll?
Angelina: Es kommt darauf an, wie man den Wasserfall Ansatz definiert. Auf Meilensteine hinzuarbeiten, das ist zielführend und funktioniert zunächst. Das ist nicht das Problem. Es geht immer nur darum, ob sich die Anforderungen häufig ändern, und diesen Fall haben wir ständig in der Softwareentwicklung oder in anderen komplexen Projektumfeldern. Das ist mittlerweile Gang und Gebe, da der Markt sehr schnelllebig ist. Deswegen bin ich der Meinung, dass der klassische Ansatz prinzipiell funktioniert, allerdings ist er, wie bereits gesagt, abhängig vom Umfeld, in dem man tätig ist, recht unflexibel.
Philipp: Verstanden. Also verstehe ich es richtg, dass wenn es möglich ist, präzise vorherzusagen, welcher Input erwartet und welcher Output resultieren wird und der Weg dazwischen bei wenigen Einflussfaktoren klar ist, es dann Sinn machen würde den Wasserfall-Ansatz zu wählen? Das würde daran liegen, dass die Einführung und Durchführung in solchen Fällen schneller vonstatten gehen würde. Jedoch, überall dort, wo zahlreiche ungewisse Faktoren ins Spiel kommen, die verschiedene Situationen beeinflussen könnten, man feststellen müsste, dass die bekannten Prozessmethoden nicht mehr effektiv sind, so dass sie unter Umständen zu Wettbewerbsnachteilen führen könnten, man den agilen Ansatz in Betracht ziehen sollte?
Angelina: Genau! Das kann ich nur unterschreiben.
Philipp: Schön, dann kommen wir mal ein bisschen mehr zu deiner Projekthistorie. Wenn du auf deine aktuelle Projekthistorie zurückblickst - welches Projekt fällt dir sofort ein, das du nicht vergessen wirst? Was ist in diesem Projekt passiert und was waren deine Aufgaben?
Angelina: Es gab ein Projekt, in dem ich zum ersten Mal auf der grünen Wiese agiles Arbeiten nach Scrum eingeführt habe. Da es sehr gut funktioniert hat, ist es mir im Gedächtnis geblieben. Das Spannende daran war, dass das Team aus sehr erfahrenen Senior Entwicklern, im Alter von durchschnittlich Mitte 50, bestand. Hinzu kommt, dass die IT, nach wie stark von Männern geprägt war und ist. In manchen Projekten kann man auch schnell als Projektassistentin wahrgenommen werden. Im meiner Rolle als Scrum Master oder Agile Coach, welche für die meisten noch total unbekannt war, musste ich am Anfang viel Geduld mitbringen, um in meiner Expertise akzeptiert und im Team angenommen zu werden. Das war am Anfang viel Arbeit, sich erst einmal ein Standing zu erarbeiten. In vielen Entwicklungsteams ist es so, dass nach Scrum vielleicht schon gearbeitet wird, aber es nicht richtig gemacht wird. Viele verwenden auch hybride Ansätze, von denen nicht viel halte. Du startest offiziell zwar in einem Scrum Projekt, aber führst eigentlich Scrum nochmal “neu” ein. Das kann Reibungspunkte erzeugen, da diese innerhalb eines Change Prozess ganz normal sind und zu einer erfolgreichen Verbesserung dazu gehören. Wenn Scrum dann richtig eingeführt wurde und das Team richtig aufgestellt ist, würde ich sagen, braucht es nochmal bis zu sechs Monaten, bis das Team richtig gut performt. Das bedeutet nicht, dass vorher nicht schon einiges auf die Bahn gebracht wird, aber eine gute Performance mit einer validen Velocity benötigt Zeit und mehrere Sprints. Das war mein großes Learning anhand dieses Projekts, weil ich nach vielen Sprints manchmal an den Punkt kam, zu glauben, dass es nie besser werden würde. Nach 9 Sprints war es dann endlich der Fall. Die Teamperformance wurde schlagartig besser, die Sprintziele wurden erreicht und die Motivation wurde größer und ambitionierte. Alles Gute braucht einfach seine Zeit.
Philipp: Interessanter Einblick. Wenn du Unternehmen hinsichtlich agiler Methoden berätst oder bei der agilen Transformation unterstützt hast– haben die Unternehmen in der Vergangenheit bereits mit agilen Methoden gearbeitet?
Angelina: Teils, teils. Interessant ist, dass in den Teams, in denen ich zuletzt war, noch nicht nach Scrum gearbeitet wurde, aber viele Einzelne in den Teams bereits mit Scrum zu tun hatten. Es war allerdings nie so, dass keiner wusste, was Scrum ist. Circa 60 Prozent wissen, wie es grob funktioniert. Der hybride Ansatz z.B., ist in vielen Projekte als so zusagen “Scrum-light”-Version sehr häufig vertreten.
Philipp: Bei deiner Erfahrung an Einsätzen bei agilen Transformationen – gibt es Muster oder Szenarien, die sich wiederholen oder verläuft jede Transformation anders?
Angelina: Ich würde es mal so untergliedern. Ich versuche mich immer an drei Dimensionen zu orientieren. Das sind einmal die Prozesse und Tools, dann die Systeme und der Mensch. Im Bereich Systeme, Prozesse und Tools kannst du natürlich Best Practice-Ansätze verwenden, vorgefertigte Templates, etwas, das sich bewährt hat, wie man auch zum Beispiel mit Jira arbeitet oder Confluence, oder mit Retrospektiven in den Events. Im Bereich Human Layer kann jedoch alles passieren, weil der Mensch ein Individuum ist. Die langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Menschen und Teams bringt dir zwar viele Vorteile, aber eine Garantie, dass du ein dir bekanntes Problem lösen kannst, gibt es nie. Der Mensch ist zu individuell.
Philipp: Fällt dir ein Projekt ein, das gescheitert ist? Was waren die Gründe dafür?
Angelina: Das Problem sind meist die Rollen im Unternehmen. Es ist oft so, dass ein Projektleiter zum Product Owner wird, dieser hat aber z.B. gar kein Interesse für oder nicht das Wissen über das Produkt und macht deshalb immer noch die Projektleitung. Das kollidiert dann mit der Scrum Master Verantwortung und den agilen Werten. Ich versuche dann zu sensibilisieren und alle innerhalb und außerhalb Projekts abzuholen. In diesem Fall ließ dieser Charakter leider nichts mit sich machen. So habe ich dann nur die Events aufgesetzt und moderiert und konnte meine Rolle als Servant Leader nicht ausführen. Derjenige hat seine Projektleiterrolle weitergeführt, seine Product Owner Rolle somit nicht erfüllt. Darunter hat die Team-Performance gelitten und die Sprintziele nicht erreicht. Wenn man dem Ganzen gegenüber nicht offen ist, dann “spielen” wir nur Scrum und Agilität, aber setzen es nicht richtig um. Um agil zu sein gehört enorm viel Selbstdisziplin und -reflektion. Viele möchten dafür ihre Komfortzone nicht verlassen. Auch wenn in diesem Projekt die Projektleiter und das Team mit meinem Outcome zufrieden waren, habe ich das Projekt sechs Monate später verlassen, da meine Aufgabe darin besteht, Organisationen innerhalb der agilen Transformation zu begleiten und diese gemeinsam erfolgreich umzusetzen.
Philipp: Richtig. Wenn wir jetzt über Erfolg, Misserfolg in Projekten, Umfelder, Teams gesprochen haben - was sind denn deiner Meinung nach die drei größten Herausforderungen bei agilen Transformationsprozessen?
Angelina: Auf alle Fälle Mindsethemen, angefangen beim Thema Vertrauen. Scrum funktioniert nur, wenn alles, was du tust, transparent gemacht wird. Wenn du damit schon Probleme hast, macht es das sehr schwer. Transparenz ist wie das Kernstück davon, genauso wie eine Fehlerkultur. Schauen wir uns z.B. das Sprint Review, in dem jeder seine Ergebnisse zeigt, an. Das macht was mit den Menschen. Wenn du ein Umfeld hast, in dem die Werte gut gelebt werden, in dem es Offenheit für Fehler gibt, in dem Vertrauen, Respekt, Mut und so weiter gelebt werden, dann funktioniert das. Wenn das aber nicht der Fall ist, wird es sehr schwer. Da kommt man mit der Umsetzung von Scrum oder den agilen Frameworks, an seine Grenzen. Das war Punkt zwei, die Transparenz, Fehlerkultur. Du willst noch einen Punkt haben, oder?
Philipp: Wenn du dem noch etwas hinzuzufügen hast, gerne.
Angelina: Was ich noch beobachtet habe, ist, wenn man diese Offenheit auch dem Kunden nicht entgegenbringen kann. Ich sehe immer wieder, dass man mit den Kunden noch Rahmenverträge hat oder überhaupt Verträge, die nach einer meilensteinbezogenen Projektplanung abgewickelt werden. Der Kunde will, dass man agil arbeitet, weil er viel davon hält, aber die ganze Bürokratie dahinter ist noch immer klassisch. Das bedeutet, dass man auch hier an die Grenzen kommt, weil du natürlich im agilen Kontext den Kunden ja viel stärker einbindest. Wenn man dann aber immer in der Kommunikationskette den Projektleiter noch zwischenschaltet, dann wird das holprig. Das bedeutet, wir brauchen entweder von Kundenseite einen gestellten Product Owner oder wir stellen den Product Owner. Dann wollen wir aber auch, dass der Kunde als Stakeholder wirklich in einem Prozess fungiert. Und das ist dann der nächste Punkt. Man will etwas haben, aber man will den Weg nicht gehen, also customized man einfach rum. Das ist weder gut noch funktioniert es auf Dauer.
Philipp: Die nächste Frage baut darauf eigentlich ein bisschen auf. Aus deiner Erfahrung heraus – was sind die wichtigsten Aspekte, damit eine agile Transformation erfolgreich umgesetzt werden kann?
Angelina: Genau diese Offenheit. Es gibt auch die Themen der psychologischen Sicherheit und ich glaube, das deckt es schon mal ganz gut ab. Ich habe z.B. einen Fragebogen, der den agilen Reifegrad ermittelt. Hier sehe ich, wie agil die Organisation ist, um dann, je nach Bedürfnis, entgegenzuwirken. Ist es mehr Coaching, mehr Vorbereitung, sind es mehr die Tools und die Systeme oder sind es eher menschengetriebene Themen.
Philipp: Letzte Frage hinsichtlich deiner Erfahrungen. Du hattest es anfangs schon mal gesagt, aus welchen Fehlern konntest du den größten Lerneffekt generieren?
Angelina: Da war ich noch nicht selbstständig sondern angestellt in einem jungen, dynamischen Team. Wir hatten wahnsinnig viel Power, richtig starkes Business Consulting haben wir gemacht. Ich kam dann in das Projekt, von dem ich bereits erzählt habe, das mit den sehr erfahrenen Entwicklern, und war total motiviert und wollte durchstarten. Aber erstmal kam der Frust, denn ich wurde auf deren Geschwindigkeit runtergestuft. Das war ungewohnt für mich, denn ich wollte das Team auf meinem Level einfangen und richtig durchstarten, aber merkte, dass das nicht funktioniert und ich eher das Team abhängen würde. Ich hatte intern einen super Vorgesetzten, bei dem habe ich dann gejammert und gesagt, das kann nicht wahr sein, das macht keinen Spaß, wie kriege ich die Leute im Team überhaupt auf ein bestimmtes Level? Und er hat mir dann gesagt, Angelina, du musst erst mal zurück auf deren Level, du musst sie auf ihrem Level einfangen und abholen. Das war für mich so unvorstellbar schlimm, denn ich konnte mir nicht vorstellen “langsamer” zu werden, aber er hatte natürlich recht.
Philipp: Verstehe. Weil du schon Schritte voraus warst, aber dir dadurch die anderen nicht folgen konnten.
Angelina: Als ich das dann begriffen habe, bin ich eher in eine Coaching Rolle gegangen. Selbst als Scrum Master oder wenn man selbst noch sehr jung ist, hast du den Wunsch, mit dem Team das und das zu erreichen. Aber als Coach hast du nicht den Wunsch, dieses und jenes zu erreichen. Im Endeffekt bist du Knowledge Geber, Vorbild, Inspirationsquelle und Sparringspartner für das Team. Das ist auch das was Teams brauchen, denn Experten in der Umsetzung sind sie selber. Du bist also nicht der, der das Ganze anleitet, sondern du bist dieser Servant Leader, du dienst eben. Ich musste lernen, dass nicht meine Geschwindigkeit entscheidend ist. Als ich das erkannt habe, ging es auch bergauf.
Philipp: Sehr interessanter Einblick. Dann haben wir nur noch zwei Fragen, die gehen eher zur aktuellen Unternehmenssicht und Prognose. Sollten deutsche Unternehmen noch viel mehr auf agile Methoden und Veränderungsprozesse zurückgreifen?
Angelina: Das ist so spannend und erschreckend zugleich. Meine Antwort ist Ja, auf alle Fälle Ja! Was ich mich frage, ist, was ist die Alternative? Wenn wir es nicht tun, dann bleibt alles so, wie es ist, und das ist sehr risikobehaftet. Also deswegen wieder Ja.
Philipp: Was könnten Ursachen sein, dass in Deutschland ansässige Unternehmen den agilen Ansatz nicht so stark verfolgen wie Unternehmen im internationalen Vergleich?
Angelina: Angst. Und was wir auch sehr stark haben, ist diese gelebte Titelidentifikation. Aber hauptsächlich ist es der fehlende Mut, Veränderungen herbeizuführen oder den altbekannten Pfad einmal zu verlassen, da das Risiko höher eingeschätzt wird als die Chance.